Base Flying in Berlin

Einladend liegt die Metallrampe an der Kante der Dachterrasse auf der 40. Etage. Hier entscheidet sich, wer fliegt und wer abbricht. Ein- bis zweimal pro Jahr bin ich Passagier eines Tandem-Paragliders. Da es in Berlin keine hohen Berge gibt, wollte ich etwas Neues ausprobieren und bin heute mit dem Vorsatz gekommen, Base Flying auszuprobieren. Elf Schritte bis zum Ende der Rampe. Elf Schritte bis zu meinem Erlebnis und die Aufregung steigt.

Nach zwei Minuten hänge ich eingehakt in der Seilwinde und schwebe fast waagerecht 125 Meter über dem Berliner Alexanderplatz. Für einen Moment sind das heftige Herzklopfen, das wilde Bauchkribbeln und die feuchten Hände vergessen. Nun genieße ich die Aussicht über Berlin. Die letzten Sonnenstrahlen des warmen Junitages lassen das Licht auf der Kugel des Berliner Fernsehturms wie Sterne funkeln. Das Stadtschloss, der Berliner Dom und der Tiergarten erstrahlen im Glanz der Abendsonne und wirken wie einer Miniaturwelt entsprungen. Aber nicht nur für die Aussicht hänge ich im Berliner Abendhimmel. Die Seilwinde wird ausgelöst und ich falle.

Base Flying vom Hoteldach des Park Inn mit Aussicht auf Berlin und vis-a-vis dem Berliner Fernsehturm

Doch was ist Base Flying eigentlich?

Die Idee des Base Flying stammt aus der Stunt- und Bühnentechnik. Stürzen Akteure von einer Klippe oder einem Hochhaus, geschieht das meistens mit einer speziellen Abseilwinde. Seit 2009 können Wagemutige in Berlin auf diese Weise vom Dach des Hotels Park Inn fliegen.

„Diese Technik ist einmalig in Europa und nicht zu vergleichen mit Bungee-Springen. erklärt Stefan Joachim, Marketing und Teammanagement von Vertical Sports Events. „Der Base Flyer ist die schnellste Personenabseilwinde in ganz Europa.“ Beim Base Flying wird die Person am Rücken gesichert, fliegt fast waagerecht zum Boden und wird nach dem freien Fall sanft abgebremst.

Vor dem Flug

Am Tag meines Fluges fahre ich zum Alexanderplatz. Dort fliegen schon Base Flyer schreiend, jubelnd oder mucksmäuschenstill an den blau-grau verglasten Hotelzimmern vorbei, dem Alexanderplatz entgegen. Schaulustige versammeln sich in kleinen Gruppen oder sitzen auf dem Rand des Brunnens der Völkerfreundschaft. Die Gesichter sind gen Himmel gerichtet, um keinen Base Flyer zu verpassen. Der Ausdruck spiegelt Faszination, Bewunderung oder Erschrockenheit wider.

Auf der Dachterrasse des Park Inn beginnt das Abenteuer

Auch Sonja Thaden aus Berlin steht zwischen den Schaulustigen. Sie blickt nach oben und wartet gespannt auf den nächsten Base Flyer. „Ich würde das nicht machen! Als Kind stand ich auf dem 10-Meter-Brett und bin auch gesprungen. Aber davon bekomme ich schon vom Zusehen einen Adrenalinkick. Die sind sehr mutig.“

Wie mutig man sein muss, werde ich gleich noch herausfinden. Mein Base Flying Erlebnis erwartet mich. Mit dem Aufzug und fünf Etagen zu Fuß geht es auf das Dach. Marina vom Base Flying Team begrüßt meine Begleitperson und mich am Gittertor, das die Hotelterrasse vom Flugbereich trennt. Ich überreiche ihr mein Flugticket. Zwei Minuten später stehe ich auf einer anthrazitfarbenen Gummimatte und Marinas Kollegin legt mir das Gurtzeug an. So langsam bekomme ich Bauchkribbeln und feuchte Hände.

Die fünf Mädels des Base Flying Teams verbreiten eine gute und entspannte Stimmung auf der Dachterrasse. Sie tragen kurze schwarze Hosen und ein schwarzes T-Shirt. Es wird gescherzt und aus der Musikbox klingt rhythmische Latin-Musik. Die Teilnehmenden werden ohne Hektik auf ihren Flug vorbereitet, auch wenn die nächsten Kunden schon warten.

Die Flugvorbereitung

Vor jedem Flug wird eine Hängeprobe in einem abgetrennten Bereich gemacht. Am Vordach hängt ein Seil herunter. Daran ist ein Karabiner befestigt, der in das Gurtzeug eingehakt wird. Schwebend hänge ich über einem Gitterrostboden und winkele die Arme an, wie ich es während des Fluges machen soll. Das Gurtzeug fühlt sich robust und wie eine zweite Haut an. Mein Sicherheitsgefühl steigt.

Vorbereitung für das Base Flying mit einer Hängeprobe

Bei einem Kontroll-Check zieht Marina noch einmal die Gurte straff, prüft, ob mein Gurtzeug sitzt und ich fest verschnürt bin. Ich bin für meinen Flug bereit. Die Teilnehmenden, die leichte Nervosität zeigen, werden mit einem lockeren Spruch „Runter geht es immer.“ auf die Rampe geschickt. Von Fabiola, der Teamleiterin, bekomme ich heute ein „Hast du es dir gut überlegt?“. Auf geht’s zur Rampe. Ob ich wirklich fliege?

 Reaktionen auf adrenalinreiche Aktivitäten

„Die meisten gehen noch zur Rampe“ ist die Erfahrung des Base Flying Teams von der Dachterrasse. Eine irische Junggesellenabschiedsgruppe, mit großer Klappe, ist auch noch zur Rampe gegangen. Als es ernst wurde, hat jeder Einzelne abgebrochen.
Stefan Joachim berichtet: „Ungefähr ein Prozent aller Teilnehmenden bricht ab, und meistens sind es die Männer.“

Was passiert eigentlich, wenn man kurz davor steht, von einer Rampe zu fliegen? Während eines solchen Erlebnisses „ist der Sympathikus hoch aktiv, der sogenannte Fight and Flight-Nerv. Das ist die Kampf- und Flucht-Reaktion,“ erklärt Dr. Surjo R. Soekadar, Neurowissenschaftler der Charité. „Manche sagen: Alles cool, und kurz vor der Situation sagen sie: Ich will es doch nicht machen.“ Was sorgt dafür, dass man trotzdem fliegt? „Das Bauchgefühl sagt: ‚Mach das nicht!‘ und das Frontalhirn kann diesen Impuls überwinden: ‚Ich will das jetzt wirklich! Jetzt sind wir extra hergekommen.‘ Je klarer der Entschluss vorher gefasst wurde und kein Dialog zwischen dem Kopf und dem Bauch zugelassen wird, desto einfacher wird es.“ führt Dr. Soekadar weiter aus.

Doch was ist Adrenalin? Adrenalin ist ein körpereigenes Hormon, das in Stress- und Gefahrensituationen ausgeschüttet wird. Ein trockener Mund, ein Kloß im Hals, das Kribbeln im Bauch können die Folge sein. Dr. Soekadar ergänzt: „Die Außenwahrnehmung wird verstärkt und das Zeitempfinden verlängert, die Situation wird intensiver wahrgenommen und das Herz kann ganz stark hämmern. Der Körper spielt verrückt.“ Für manche Menschen sind diese körperlichen Reaktionen unangenehm und nicht auszuhalten.

Angstpatienten kennen diese Reaktionen des Körpers. Drei- bis viermal im Jahr veranstaltet das Base Flying Team ein Gruppenevent mit Lebens-Coaches zur Angstprävention. Fabiola führt die Angstpatienten einzeln auf die Rampe, lässt sie die Augen schließen, tief durchatmen und redet beruhigend und sanft auf die Person ein. Auch für sie ist es ein großer Erfolg, wenn die Personen fliegen, und ruft ihnen hinterher: „Wir sind stolz auf Dich!“

Die Rampe

Da liegt sie, die Metallrampe. Einladend und adrenalinfördernd zugleich. Acht Meter lang und einen Meter breit. Rechts und links flankieren die Geländer die Rampe und wirken wie eine Schutzbarriere. Ich stehe am Anfang im roten Bereich, ein Sicherungsseil wird am Rücken meines Gurtzeugs befestigt und zwei Mädels vom Team begleiten mich. Elf Schritte bis zum Ende der Rampe.

Über die Metallrampe zur Abflugkante und immer in Begleitung von zwei Mitarbeitenden

Schritt für Schritt nähern wir uns der Abflugkante. Einen Schritt vorher stoppen wir und ich drehe mich nach links. Angespannt halte ich mich am Geländer fest. Die warme Sommerluft zerzaust mein Haar, Strähnen legen sich über mein Gesicht. In der Zwischenzeit werde ich in die Seilwinde, den „Base Flyer“, eingehakt. Mein Sicherungsseil, das mich hierher begleitet hat, wird ausgeklinkt.

Fabiola kommt auf die Rampe und macht einen letzten Sicherheitscheck, dann gibt sie das Zeichen zum Start. Der letzte Schritt und ich stehe am Ende der Metallrampe. Hier ist Schluss, hier geht es nur noch nach unten. 125 Meter. Für einen kurzen Moment blicke ich zum Alexanderplatz herunter: die Menschen sehen aus wie Stecknadelköpfe. Ich rufe mir die Worte von Fabiola ins Gedächtnis: „Nicht nach unten schauen! Die Aussicht genießen! Wenn es ganz schlimm wird, die Augen schließen!“

Der Start

Die Seilwinde zieht mich langsam nach oben. Ich lasse das Geländer los, das sich die letzten Sekunden wie ein Anker anfühlte und werde sanft in Richtung Berliner Fernsehturm geschoben. Ungefähr 20 Sekunden hänge ich im Berliner Abendhimmel, werde langsam von links nach rechts gedreht und winke meiner Begleitperson zu. Meine Aufregung ist wie weggeblasen und ein breites Lächeln zeigt sich wieder. Ein Gefühl der Entspannung und Vorfreude durchströmt nun meinen Körper.

Für mich ist es still. Keine Musik, kein Straßenlärm, kein Stimmengewirr dringen zu mir durch. Nur die Umgebung um mich herum nehme ich bewusst wahr. Die Strahlen der untergehenden Sonne legen sich wie ein goldener Schleier über die Stadt und der Himmel färbt sich am Horizont in pastellfarbene Blau,- Rosé- und Gelbtöne. Auf einmal wird die Sicherung des Base Flyer ausgelöst und ich falle.

Voraussetzungen zum Fliegen

  1. Wetter: Bei starkem Wind und Gewitter muss das Fliegen unterbrochen werden.
  2. Gewicht 50 - 108 kg
  3. Ab 16 Jahre (bis 18 Jahre mit Genehmigung eines Erziehungsberechtigten)
  4. Normale physische Gesundheit, die Teilnahme ist unter anderem ausgeschlossen für Personen mit: Bluthochdruck, Herzbeschwerden, Alkohol- oder Drogeneinwirkung, schwangere Personen, mehr Informationen Base Flying Website

Die Flieger, die in Erinnerung bleiben

Base Flying ist ein Erlebnis für alle: ein Ehemann mit Höhenangst, der von seiner Frau „überrascht“ wurde. Das älteste Pärchen, das mit 78 und 82 Jahren geflogen ist oder Ulli und Andi aus Berlin, die seit 2009 jedes Jahr fliegen. So sind auch Teilnehmende in einem Einhorn-, Dino- oder Borat-Kostüm erschienen und geflogen. Die Frage, ob bei Borat alles dringeblieben ist, wurde mit einem vielsagenden Grinsen beantwortet.

„Alle, die ankommen, sind gut drauf.“, sagt Stefan. Er empfängt die Base Flyer auf der Landeplattform. Das sind die Adrenalin-Junkies, die voller Euphorie und super gelaunt unten ankommen. Aber auch die Teilnehmenden, die fast einen Rückzieher gemacht hätten und oft verweint, aber voller Stolz landen.

Das Finale

Nun rase ich im freien Fall der Landeplattform entgegen. Kurz überlege ich, ob ich schreien soll, aber die vier Sekunden freier Fall sind zu schnell vorbei und drei Sekunden sanftes Abbremsen folgen. Die Arme seitlich und die Beine lang gestreckt, sause ich nach unten. Mein Gesicht fühlt sich an, als würden meine Wangen zu den Ohren geschoben werden. Die Schmetterlinge müssen sich verzehnfacht haben, so wild geht es in meinem Bauch zu.

Das waren sieben Sekunden Geschwindigkeitsrausch und fast 100 Meter freier Fall. Vor den Hotelfenstern, in denen sich der Fernsehturm spiegelt, werde ich Etage für Etage langsam herabgelassen. Stefan steht auf der Landeplattform bereit. Ich lege meine Hände auf seine kräftigen Oberarme und er zieht mich am Gurt zu sich herunter. Auf dem Vordach des Hotels habe ich wieder festen Boden unter den Füßen, blicke noch einmal nach oben und realisiere, was ich gerade getan habe. Das Base Flying war kürzer als ein Tandem-Paragliding-Flug, aber der Adrenalinrausch war intensiver.

Was haben ein Borat, ein Dino, ein Einhorn und ich gemeinsam? Wir sind alle vom Park Inn geflogen.

Gut zu wissen

Fazit

Das war ein aufregendes Erlebnis. Wenn das Wetter mitspielt, kann ich mir sehr gut vorstellen, dieses Erlebnis jährlich zu wiederholen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert