DAS ABENTEUER BEGINNT AM TEGELBERG
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ToggleMit klopfendem Herz stehe ich an der Abflugkante in 900 Metern über dem Landeplatz. Nur wenige Meter trennen mich von dem sehr kurzen und steilen Startplatz. Hätte ich mir meinen Startplatz aussuchen dürfen, wäre es der lange und breite Startplatz mit dem grünen weichen Kunstrasen geworden. Trotzdem kann ich es kaum erwarten, heute Passagier eines Tandem-Paragliding-Flugs zu sein und über das Schloss Neuschwanstein zu fliegen. Nach dem Start fliegen wir nach einigen Minuten um einen Felsvorsprung herum und mir stockt der Atem.
Die Leidenschaft für das Tandem-Paragliding begann im September 2018 mit einem Flug in Kapstadt, Südafrika. In der Region, in der ich lebe, habe ich keine Berge vor der Tür, um diesen Flugsport auszuüben. Dadurch versuche ich ein- bis zweimal pro Jahr Passagier eines Tandem-Paraglider zu sein, falls das Wetter es zulässt. In diesem Urlaub bin ich zu Gast im Ostallgäu in Bayern. Und wo es Berge gibt, gibt es meistens ein Paragliding-Angebot.
Was ist Tandem-Paragliding?
Als Fluggast darf man immer vorne sitzen und die Aussicht genießen. Die Ausrüstung besteht aus einem Gleitschirm, Gurtzeug, eine Art Sitzsack für den Piloten und einen für den Fluggast, einem Rettungsfallschirm und - falls jemanden übel wird - einer Spucktüte. Ein Pilot steuert den Paragliding-Schirm, zu deutsch Gleitschirm, mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 40 km/h durch die Lüfte. Ein Flug kann ein sanftes Dahingleiten sein, es können aufregende Kurven geflogen werden oder es werden schwindelerregende Höhen erreicht und man blickt über die Bergkuppen.
Doch vor dem eigentlichen Flug kommt der Start. "Ein Gleitschirm startet und landet, wie ein Flugzeug, immer gegen den Wind." erklärt Denis Maier, Pilot von Fly Royal. "Da es am Tegelberg keinen 360 Grad Startplatz gibt, brauchen wir für den Start ein bisschen Wind aus der Richtung Nordwest - Nordost. Sobald wir fliegen, spielt es keine Rolle mehr, ob wir Rücken-, Gegen- oder Seitenwind haben, dann können wir uns in alle Richtungen frei bewegen."
Ankunft am Tegelberg
Damit ich mit meinem Piloten in alle Richtungen durch die Luft gleiten kann, fahren meine Familie und ich auf den Parkplatz der Tegelbergbahn. Die Umgebung lässt mein Herz schon jetzt höherschlagen. Das Schloss Neuschwanstein thront auf einem Felsen vor imposanten Bergen aus Kalkstein. Über dieses Schloss werde ich hoffentlich gleich fliegen, falls wir ausreichend Wind haben.
Vor dem Flug
Um über das Schloss Neuschwanstein fliegen zu können, muss ich erst meinen Piloten in einer kleinen Holzhütte in der Nähe des Parkplatzes treffen. Das ist heute David, der Gründer von FLY ROYAL Paragliding und Fluglehrer. Ich fülle ein Formular aus und meine Turnschuhe werden überprüft, ob das Profil gut genug ist. Für den Start muss ich einige sichere Laufschritte einen Abhang hinunterlaufen können. Eine gute Trittfestigkeit ist dafür notwendig.
Alle Vorbereitungen sind nun abgeschlossen und David gibt mir einen großen Rucksack, der meinen Sitzsack enthält. Ich setze den Rucksack auf und wir gehen zur Seilbahn. Diese bringt uns mit unserem Equipment auf den Tegelberg. Das Kribbeln im Bauch und mein Herzschlag werden während der Fahrt sehr intensiv. Dicht an dicht gedrängt fahren wir ungefähr 10 Minuten mit 34 weiteren Personen in der Gondel auf den Tegelberg.
Ausrüstung für den Flug
- Turnschuhe, Outdoor- oder Wanderschuhe mit gutem Profil. Wanderschuhe werden bevorzugt. Keine Sneaker.
- Windjacke
- Sonnenbrille
- evtl. Handschuhe
- evtl. Sea Bands, falls jemand unter Reiseübelkeit leidet
Die Flug-Vorbereitung
Am Startplatz angekommen wird der blau-weiße-Schirm auf dem Boden ausgebreitet. Ich bekomme das Gurtzeug angelegt und wir gehen die Schrittfolge für den Start durch. Nun warten wir auf den Wind. Der Tegelberg ist eigentlich vom Frühjahr bis in den Herbst ein sehr gutes und zuverlässiges Fluggebiet. Der heutige Tag ist sonnig und 29 Grad warm, der Himmel ist blau und es ist keine einzige Wolke am Himmel zu sehen. Es traumhaftes Sommerwetter. Allerdings ist es momentan windstill.
Denis Maier erwähnt: "Zum Gleitschirmfliegen ist es grundsätzlich gut, wenn man wenig Wind hat. Bei 20 km/h Wind kann man schon fliegen, aber wenn es deutlich mehr wird, dann hören wir auf." Auch bei Regen wird nicht geflogen. "Wenn es im Flug ein bisschen nieselt, ist das kein Problem, das verträgt der Schirm. Nur, wenn es richtig regnet, dann hast du mit einem Gleitschirm nichts mehr in der Luft verloren."
Während wir auf den Wind warten, genieße ich die Aussicht: mit grünen Feldern, blau glänzenden Seen und schroffen Bergen, die sich aus dem flachen Land erheben.
Hier am Tegelberg hat das Drachen- und Gleitschirmfliegen eine große Tradition. Es begann 1973 mit einem Drachenflug und seitdem wird auch über das Schloss Neuschwanstein geflogen. Nun startet ein einzelner Gleitschirmflieger, auch Paraglider genannt. Vielleicht reicht der Wind nun auch für unseren Start.
Der Start
Der Schirm liegt einsatzbereit zwischen den zwei dicht beieinander liegenden Startplätzen, einem langen breiten und einem sehr kurzen und steilen Startplatz. Laut Denis Maier hat der steile Startplatz einen Vorteil: "Die Steilheit ist insofern ganz gut, dass wir dadurch sehr schnell abheben."
Die Höhe und die Startplätze können schon ein wenig angsteinflößend sein. Aber Denis Maier kann die Teilnehmer an einer Hand abzählen, die einen Flug abgebrochen haben. Als Mutmacher hat er seine Fluggäste schon oft davon überzeugt, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Und wer sich erst einmal in die Lüfte wagt, kann sich oft ein Jubeln, Weinen oder einen Schrei nicht verkneifen, ob aus Freude oder Angst oder beides. Im Flug fällt die Anspannung dann ab "und dann ist eigentlich nur noch genießen angesagt und die Überwältigung oft riesig" ergänzt Denis. Nach der Landung wurde dem Piloten auch schon gesagt: „Das war das Geilste, was ich meinem Leben gemacht hab.“
Ich möchte mich auch gern auf dieses Abenteuer einlassen. Glücklicherweise bemerke ich nun eine Brise und alles geht ganz schnell. Wir positionieren uns vor dem sehr kurzen und steilen Startplatz. Auch wenn alles ganz schnell geht, bleibt anscheinend doch noch genug Zeit für ein wenig Aufregung mit Bauchkribbeln und starkem Herzklopfen. Mein Sitzsack wird eingeklinkt und der Schirm wird raschelnd aufgestellt. Wir laufen drei Schritte, stoppen kurz, laufen noch einmal ein, zwei Schritte und schon habe ich den Kontakt zum Boden verloren.
Der Flug
Der warme Wind weht mir ins Gesicht und ich ziehe die Ärmel meiner Windjacke hoch. Es ist doch wärmer als gedacht. Wir steigen höher, indem wir ein paar Kreise durch die Luft ziehen und fliegen auf ungefähr 900 Meter über dem Boden. Unter uns sind grüne Felder und blau glänzende Seen. Zwischen den Bergen sehe ich Almhütten, die wie Spielzeughäuser aussehen. Die Kalksteinfelsen des Tegelbergs scheinen zum Greifen nah und sind mit Nadelbäumen bewaldet. In einer Schlucht auf einer Hochalm entdecke ich zwei Kühe grasen und ganz in der Nähe der Hochalm stürzt aus einer Felskante ein schmaler Wasserfall in die Tiefe.
Während des Flugs bleiben wir unterhalb der Gipfel. Nun steigt meine Neugier, wie es wäre auf 3.000 Meter Höhe zu fliegen und über die Gipfel schauen zu können. Im April und Mai soll man teilweise auf 3.000 Meter Höhe fliegen können und oft mit schneebedeckten Bergen. Laut Denis Maier ist es während des Flugs "richtig kalt, aber das sind spektakuläre Flüge. Wer einen richtig knackigen Thermikflug machen will, der sollte früh im Jahr kommen."
Wir drehen ein kleines Stück nach rechts und auf einmal stockt mir kurz der Atem. Als die Atmung wieder einsetzt, höre ich mich „Oh mein Gott“ sagen. Dieser Ausblick ist wirklich atemberaubend: das Schloss Neuschwanstein auf dem Felsen, im Hintergrund der blaue Alpsee, das Schloss Hohenschwangau und das Bergpanorama. Nun fliegen wir auch noch über das Schloss. Ich kann in den Innenhof schauen und die Personen, die sich dort aufhalten sind stecknadelkopfgroß. Wir drehen eine weitere Runde über das Schloss und bleiben für einige Minuten in der Nähe, damit ich diese phänomenale Aussicht noch etwas genießen kann.
Die Landung
Nach ungefähr 20 Minuten Flugzeit landen wir sicher auf der grünen Wiese des Landeplatzes vor dem Tegelberg und der Holzhütte, bei der dieses unvergessliche Erlebnis begann. Dieser Flug war ein sanftes Dahingleiten. Es fühlte sich nicht an, als würden wir mit 40 km/h unterwegs sein. Vermutlich fühlt sich die Geschwindigkeit in Luft anders als auf der Straße an.
Gut zu wissen
Tegelbergstraße 33, 87645 Schwangau
Fazit
Wie so viele Passagiere vor mir, bin auch ich überwältig und dankbar, dass ich hier fliegen durfte. Vielen Dank David für dieses unvergessliche Erlebnis.