SPRINGEN – RUTSCHEN – KLETTERN in einem Abenteuer
Inhalt
ToggleIch stehe mit Teilnehmenden unserer Gruppe auf einem sechs Meter hohen unebenen Felsen. Seitlich von uns ergießt sich ein kleiner Wasserfall der Stuibenfälle in den grünen und glasklaren natürlichen Pool. Mein Herz klopft, meine Finger kribbeln und ich überlege: Springe ich oder rutsche ich an der Seilrutsche hinunter, so wie einige Teilnehmende vor mir. Hier oben an der Felskante sehen die sechs Meter sehr hoch aus.
Was ist Canyoning?
Der Begriff Canyoning bedeutet im Deutschen "Schluchteln" oder auch "Schluchtenwandern" und ist eine Outdoor-Aktivität. Mit der passenden Ausrüstung werden verschiedene Passagen einer Schlucht, im englischen "Canyon", mit einem erfahrenen Guide begangen. Die Ausrüstung besteht aus einem Neoprenanzug, Gurtzeug und einem Helm. Auf einer Tour wird im Wasser geschwommen, von Felsen gesprungen oder gerutscht und durch flache Bäche gewandert. Oft seilt man sich von einem Felsen neben einem Wasserfall ab.
Es gibt Familien-, Einsteiger-, Fortgeschritten- und Extrem-Touren. Je nach Tour unterscheiden sich die Dauer, der Anspruch an die Fitness, die Höhe der Sprünge und das Abseilen von Felsen. Für die meisten Touren reicht eine Grundfitness.
Familie | Einsteiger | Fortgeschrittene | Extrem | |
---|---|---|---|---|
Absprunghöhe | 2m bis zu 6m | 1.5m bis zu 8m | 5m bis zu 10m | 8m bis zu 14m |
Abseilhöhe | 3m bis zu 6m | 10m bis zu 25m | 10m bis zu 20m | 20m bis zu 40m |
Dauer | 1.5 bis zu 4 Stunden | 1.5 bis zu 4 Stunden | 3 bis zu 6 Stunden | 3 bis zu 7 Stunden |
Vor jeder Tour gibt es immer eine Sicherheitseinweisung von einem erfahrenen Guide, der die Gruppe begleitet. Im Vordergrund steht immer der Spaß. Wer sich in einer bestimmten Höhe nicht wohlfühlt, kann bei vielen Touren einen Sprung oder das Abseilen aussetzen und um das Ereignis herum oder über eine Leiter nach unten gehen. Höhenangst sollte man beim Canyoning allerdings nicht haben.
Wer Canyoning nun ausprobieren möchte, findet weltweit Angebote, auch im alpinen Raum wie Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Schweiz und Slowenien.
Warum diese Tour?
In Jordanien war ich 2019 das erste Mal zum Canyoning. Als unser Neffe die Bilder sah und von unseren Erlebnissen hörte, sagte er: "Oh, das würde ich auch gerne mal ausprobieren". Zwischen Bassano del Grappa und Venedig erlebten mein Neffe und ich unsere erste gemeinsame Canyoning-Tour. Seitdem ist er genauso begeistert von dem Sport wie ich.
Und heute wollen wir eine Canyoning-Tour bei den Stuibenfällen in Österreich machen. Seit unserer letzten gemeinsamen Tour sind mittlerweile zwei Jahre vergangen. Aus diesem Grund haben wir uns für einen sanften Wiedereinstieg entschieden und machen die Familien-Tour. Diese bietet Sprünge aus zwei bis sechs Metern Höhe, einer Rutsche und einer Abseilstelle aus drei Metern Höhe. Es ist alles dabei, was wir uns bei einer Canyoning-Tour wünschen.
Der Treffpunkt
Wir treffen uns auf einem Schotterparkplatz in einem Industriegebiet in Reutte, Österreich. Die Kleinstadt Reutte liegt in Tirol und ist 16 km, ungefähr 20 Minuten mit dem Auto von Füssen in Deutschland entfernt.
Mit der Buchung schickt der Veranstalter Canyonauten eine genaue Wegbeschreibung per E-Mail, denn der Treffpunkt ist etwas schwierig zu finden. Als wir an Mitarbeiter-Parkplätzen des E-Werks in Reutte vorbeifuhren, kamen kurz Zweifel auf, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Das waren wir. Plant ein bisschen mehr Zeit für die Anreise ein.
E-Werk Reutte - E-Werkstraße 1 - 6600 Reutte - Österreich
Vor der Tour
Es kurz nach 13 Uhr. An diesem Julitag strahlt die Sonne vom blauen Himmel und das Thermometer zeigt 30°C an. Es ist heiß. Bei diesen Temperaturen haben wir nichts gegen eine Abkühlung in den alpinen Gebirgsbächen. Auf dem Schotterparkplatz angekommen, parken wir unser Auto und melden uns bei unseren heutigen Guides Conny, der männliche Guide und Carmen an.
Nachdem sich alle 14 Teilnehmenden angemeldet haben, versammelt sich die Gruppe im Halbkreis vor den Guides und wir bekommen das Equipment überreicht. Unter freiem Himmel und unter der prallen Sonne stehen wir auf einer schwarzen Plane, die auf dem Schotterboden ausgelegt ist. Bei der Wärme ist es gar nicht so leicht mit einem verschwitzen Körper in den Neoprenanzug zu kommen.
Neben dem Neoprenanzug erhalten wir außerdem Neoprensocken und sogar Canyoning-Schuhe, die mit Wanderschuhen vergleichbar sind. Bei den meisten Anbietern muss man Turnschuhe mitbringen und dann wird es mit den Neoprensocken sehr eng, weil diese ungefähr den Platz einer zusätzlichen Schuhgröße beanspruchen. Und zum Schluss wird das Gurtzeug angelegt und der Helm aufgesetzt.
Der Weg zum Start
Die Ausrüstung haben wir angezogen und angelegt. Nun beginnt unser Fußmarsch zum Startpunkt und wir laufen ein Teilstück des "Stuibenfälle-Ministersteig"-Rundwanderwegs. Uns kommen einige Wandernde entgegen, die uns freundlich anlächeln. Über einen sandigen und steinigen Weg gehen wir durch ein Waldgebiet und sind dankbar für den Schatten, den die Laub- und Nadelbäume werfen.
Während wir eine Metallbrücke überqueren, sehen wir die ersten Stuiben-Wasserfälle. Weil es so heiß ist und das Wasser nun so nah, gehen wir hinter der Brücke zum Flussbett hinunter. Dort setzen wir unsere Helme ab, füllen diese mit Wasser und kippen uns das eiskalte Wasser über den Kopf. Wir sind uns nicht sicher, ob in diesem Moment mehrere Dampfwolken, wie in einem Dampfbad, aufgestiegen sind. Aber es ist sehr erfrischend und tut gut.
Erfrischt laufen wir weiter und entdecken in einer Schlucht eine andere Canyoning-Gruppe. Jemand springt gerade von einem Felsen in einen der grün leuchtenden Pools und eine andere Person klettert rechts an einem Wasserfall nach unten. Weitere kleine Wasserfälle bahnen sich ihren Weg über herausragendes Gestein des Baches. Ein malerischer Anblick. Ob wir auf unserer Tour auch zu dieser Stelle kommen?
Über unebene Wege laufen wir durch Waldstücke weiter, immer im Wechsel von Sonne und Schatten und erreichen ungefähr 20 Minuten später den Einstieg in die Schlucht. In dem grün leuchtenden Pool werden wir unsere Canyoning-Tour beginnen. Doch um dorthin zu gelangen, müssen wir einen steilen Abhang hinunter. Einige Teilnehmende klettern langsam und vorsichtig und andere rutschen auf dem Po die glatten Steine nach unten.
Sicherheitseinweisung
Die schmalen dreistufigen Stuibenfälle stürzen in den natürlichen Pool. Als auch wir den Pool erreichen, dürfen wir uns in das kühle und erfrischende Wasser stürzen. Die Abkühlung tut uns allen sehr gut. Unsere mittlerweile erröteten Gesichter nehmen langsam wieder den ursprünglichen Ton der Hautfarbe an. Ohne den Neoprenanzug wäre mir das Wasser vermutlich zu kalt zum Baden.
Nach der Abkühlung folgt die Sicherheitseinweisung unserer Guides Conny und Carmen. Sie erklären uns die verschiedenen Sprung- und Rutschtechniken, den Umgang mit den Karabinern und was beim Abseilen beachtet werden muss. Dass wir während des Laufens in Flussabschnitten immer "einen festen Schritt" haben sollen und rücksichtsvoll miteinander umgehen.
Uns wird gezeigt, wie wir das "O"-Zeichen für "Es ist alles okay" nach einem Sprung oder dem Rutschen geben, sobald wir aus dem Wasser aufgetaucht sind. Eine Faust wird auf den Kopf gelegt, damit sich der entsprechende Arm zu einem seitlichen "O" formt. Und am wichtigsten: wir sollen alle zusammen Spaß haben.
Die Canyoning-Tour beginnt
Der erste Spaß erwartet uns bereits. Zwischen zwei Felsen am Pool spannen unsere Guides ein Seil: unsere Seilrutsche. Damit mein Neffe und ich uns wieder an die Höhe gewöhnen, springen wir von einem niedrigeren Felsen aus vier Metern Höhe in den Pool. Das fühlt sich richtig gut an und macht Spaß. Nach den zwei Sprüngen möchten wir nun den sechs Meter hohen Felsen ausprobieren. Dort können wir entscheiden, ob wir in den Pool springen oder an der Seilrutsche ins Wasser rutschen möchten.
Springen oder Rutschen?
Wir gehen an unserer vier-Meter-Absprungstelle vorbei und weiter nach oben. Auf einem schmalen unebenen Felsvorsprung stellen wir uns hinter den anderen Teilnehmenden aus unserer Gruppe an. Die Stelle ist so schmal und uneben, dass ein Sicherheitsseil gespannt ist, an dem wir uns mit unseren Karabinern einhaken und sichern. Vor dem Sprung oder der Rutschpartie entsichern wir uns wieder.
Nun müssen wir uns entscheiden: Springen, aus sechs Metern Höhe oder Rutschen. Die meisten Männer unserer Gruppe und die Kinder springen, ohne zu zögern vom Felsen. Respekt. Die Damen aus unserer Gruppe sind schon etwas vorsichtiger und die meisten rutschen über die Seilrutsche in den Pool.
Nun bin ich an der Reihe. Ich zögere und schaue nach unten. Mein Herz klopft und meine Finger kribbeln. Seilrutsche oder Sprung? Ich habe mich entschieden und rutsche mit einem Bauchkribbeln hinunter ins Wasser.
Auch mein Neffe zögert kurz und überlegt, ob er springt. Doch dann entscheidet er sich auch für die Seilrutsche. Und weil uns das Rutschen so viel Spaß gemacht hat, stellen wir uns gleich noch einmal an. Mit der Seilrutsche sause ich noch einmal ins Wasser und springe anschließend mal wieder von dem vier-Meter-Felsen.
Nachdem ich noch ein weiteres Mal gerutscht und gesprungen bin, bleibe ich in dem grünen natürlichen Pool. Nun komme ich mit einigen Eltern ins Gespräch, die mit ihren Kindern auch an dieser Tour teilnehmen und wir tauschen uns über die ersten Eindrücke dieser Tour aus. Währenddessen haben die Kinder und die meisten Männer weiterhin ihren Spaß und Springen und Rutschen ins Wasser. Bis unsere Guides sagen: "Wir gehen weiter."
Vorsicht Lava
Das Springen und Rutschen war erst der Anfang. Nun laufen wir durch ein ziemlich trockenes Flussbett über weiße und graue runde Steine und sind bemüht immer mit "einem festen Schritt" zu laufen. Wo sonst der Fluss entlangfließt, sind heute nur noch Pfützen. Der Sommer war bisher sehr heiß, dadurch ist der Wasserstand vieler Flüsse und Seen sehr niedrig.
Um die Tour auch für die Kinder unterhaltsamer zu machen, spielen wir, dass das Wasser Lava ist. Wir dürfen nur über die Steine gehen! Die Kinder lachen und quietschen vor Freude. Auch wir Erwachsenen machen mit und haben unseren Spaß daran. Währenddessen unterhalte ich mich mit einem Pärchen aus den Niederlanden, die auch ihren Urlaub in dieser Region verbringen. Ihr Sohn und mein Neffe haben sich trotz der deutsch-niederländischen Sprachbarriere angefreundet und laufen nun weit vor uns.
Unser nächstes Hindernis ist ein Felsen, über den ein kleiner Wasserfall fließt. Diesen rutschen wir nun rückwärts hinunter. Die Kinder haben so viel Spaß und rutschen den Wasserfall mit einem Rückwärts-Purzelbaum noch einmal nach unten.
Das Abseilen
Das nächste Abenteuer erwartet uns jetzt. Wir sind in der Schlucht angekommen, in der wir vorhin gesehen haben, wie sich jemand neben dem Wasserfall abseilt. Und das ist nun unsere Aufgabe: Abseilen neben einem drei Meter hohen Wasserfall. Allerdings nicht der vordere auf dem unteren Bild, sondern der hintere Wasserfall. Da ich mich erst einmal neben einem 25 Meter hohen Wasserfall abgeseilt habe und das bereits zwei Jahre zurückliegt, bin ich etwas nervös. Wegen der Höhe bin ich gar nicht nervös, sondern, ob ich gut und ohne abzurutschen nach unten klettern werde.
Mein Neffe gehört mit zu den Ersten, die sich abseilen. Er und auch andere Teilnehmende sind an einer Stelle mit dem Fuß abgerutscht, konnten sich aber gut halten und weiter abwärts klettern. Bei einigen hat man gesehen, dass sie Erfahrung haben, denn sie sind ohne Probleme und zügig die drei Meter nach unten geklettert.
Nun bin ich an der Reihe. Ich sichere mich, drehe mich um und setze den ersten Fuß an die Felskante. Schritt für Schritt seile ich mich abwärts. Ich bin so konzentriert, dass ich alle Geräusche ausblende und noch nicht einmal den Wasserfall neben mir rauschen höre. Es ist ganz ruhig um mich herum, bis zu einer Schrecksekunde.
Ich rutsche an einer glitschigen Stelle mit einem Fuß an den Steinen ab. An der Stelle, an der andere Teilnehmende vor mir abrutschten. Aber auch ich kann meine Kletterposition halten und komme wohlbehalten unten an. Ein wohliges Glücksgefühl durchströmt mich und ich fühle sehr erleichtert und bin auch ein bisschen aufgekratzt.
Der letzte Sprung
Beim Überklettern eines kleinen Wasserfalls kann ich nach dem Abseilen kurz durchatmen. Nun erreichen wir unseren letzten Punkt auf der Tour, der noch einmal für Herzklopfen sorgt. Wir springen von einem sechs Meter hohen Felsen in einen natürlichen Pool der Stuibenfälle. Neben unserer Absprungstelle rauscht ein Wasserfall in die Tiefe.
Durch die Sprünge zu Beginn unserer Tour und vermutlich das Abseilen, fühle ich mich gut und freue ich mich sogar darauf. Ich stelle mich an die Felskante und springe als Letzte unserer Gruppe ab. Während des Sprungs ziehe ich die Knie an, halte mir die Nase zu und tauche mit einem großen Platscher ins Wasser ein. Nachdem ich wieder aufgetaucht bin, lege ich meine rechte Faust auf den Helm und gebe ich das "Okay"-Zeichen. Es war ein toller Sprung.
Der Abschluss
Unser Abschluss wird noch einmal schön. Wir schwimmen im grünen und glasklaren Wasser, klettern über kleine Kaskaden-Wasserfällen und erreichen unseren letzten Punkt der Tour: die unteren Fälle der Kaskaden. Hier setzen wir uns vor den Wasserfall auf die Steine und es werden Familien- und Gruppenfotos gemacht.
Nach zwei Stunden steigen wir an der Stelle aus dem Wasser, an der wir uns zu Beginn der Tour die Helme mit Wasser gefüllt und über den Kopf geschüttet haben. Von hier sind es auch nur noch zehn Minuten Fußmarsch zurück zum Parkplatz. Während der letzten Etappe mischt sich die Gruppe, unterhält sich und ist ganz euphorisiert nach den Erlebnissen.
Fazit
Nach zwei Jahren Pause war diese Tour ein idealer Wiedereinstieg. Zwischen adrenalinfördernden Aktivitäten wie die Sprünge, die Seilrutsche und das Abseilen waren auch ruhigere Einheiten mit kurzen Wanderungen und den kleineren Wasserfall-Erlebnissen dabei. Die Schlucht und die Stuibenfälle sind wunderschön. Die Chance zu bekommen, diesen Naturschönheiten so nah zu kommen, war fantastisch. Unsere Highlights waren die Seilrutsche, die Sprünge und das Abseilen. Wir wurden nicht enttäuscht. Diese Tour ist ideal für Anfänger und alle, die Canyoning mal ausprobieren möchten, besonders für Familien.
Gut zu wissen
Nützliche Hinweise für die Tour-Vorbereitung
- Tour-Dauer beim Anbieter "Bergwasser": 2.5 Stunden
- Tour-Dauer beim Anbieter "Canyonauten": 4 Stunden
- Es gibt keine Umkleiden oder Toiletten
- Eine Grundfitness sollte vorhanden sein
- Keine Höhenangst haben
Dinge, die Du mitbringen solltest
- Verpflegung
- Badesachen
- Handtuch
- Wechselkleidung